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1, Zur Einstimmung: Das vierte Jahr des fremden, schwarzen Katers mit den weißen Pfoten, eine Erzählung.

In unserer Kindheit verbrachten wir, meine kleine Schwester und ich, die Sommerferien bei unserer Tante Ilonka am Plattensee, ungarisch: Balaton. Sie wohnte ständig dort, in einem Häuschen am Rand eines winzigen Dorfes am Wald. Unsere Mutter, die in Budapest arbeitete, besuchte uns so oft sie konnte, an Feiertagen, den Wochenenden und während ihres Urlaubes im August. Wir Kinder fuhren mit einer Freundin unserer Mutter mit der Eisenbahn, gleich zum Ferienanbeginn am 29. Juni, es war mein Namenstag Péter und Pál.
An einem solchen Tag erwartete uns – wir mochten sieben und neun Jahre alt gewesen sein – an der Gartenpforte das erste Mal der fremde, große, schwarze Kater mit den weißen Pfoten. Tante Ilonka sagte, er habe sich am schon Morgen dahin gesetzt, den Schwanz ordentlich um seine Pfoten gekringelt, als schäme er sich um ihre Blässe, und gewartet. Auch sie habe ihn nie zuvor gesehen.
Als wir mit unseren Koffern näher gekommen sind, stand er auf, reckte sich und, nach kurzem Schnuppern, schmiegte er seine dicke Wange an das nächst erreichbare spindeldünne Bein meiner Schwester Lili. Dann ging er mit uns, durch den Garten, ins Haus. Und von da an war er in Lilis Nähe (meist natürlich auch in meine), wohin sie auch ging, wo sie stand, saß oder lag. Morgens zum Wasserhohlen zum Brunnen, nach dem Frühstück zum Baden an den Strand, sonntags in die kleine Waldkirche mit den Bänken im Freien und abends, um frische Milch zu holen beim Bauern am anderen Ende des Dorfes. Er ist immer einige Schritte vor uns gegangen, die Rute wie eine Flagge, als Zeichen: "Bin ich hier der Kater, oder was?" Ob er auch schon am ersten Tag zum Strand vor uns gegangen ist, weiß ich nicht mehr. Er kannte ja den Weg nicht. Ich erinnere mich aber, dass er immer vor uns gegangen ist. Die Kirchgänger schmunzelten, als sie uns so, zu viert, mit Tante Ilonka, im Park der Kapelle ankommen sahen. Dort trennte er sich von uns und setzte sich etwas abseits, in den Schatten einer großen Platane. Dass er schwarzes Fell gehabt hat, beziehungsweise eines, dass in der Sonne schnell zu heiß wurde, wusste er natürlich.
Er liebte es, wenn Lili ihn striegelte, ließ von ihr die Krallen pediküren (schärfen) und knallrot lackieren, wie die eigenen Finger- und Fußnägel. Vermutlich fand auch er – wie wir alle – dass sie so besser zu seinen weißen Pfoten passten. Wahrscheinlicher aber, hätte er alles mit sich machen lassen, was sie gewollt hätte, wenn nur sie es gewesen wäre. Schnell hat es sich herausgestellt, dass er am liebsten auf dem Tüllkleidchen von Lilis Puppe, namens Judith, schlief. Die Nachbarskinder, die von dieser Marotte nichts wussten, fürchteten sich ein wenig vor dem großen Kater, was Lili und mich wiederum freute.
Das ging etwa drei Jahre so. Der Kater kam am 29. Juni einige Stunden vor uns zur Gartenpforte, wartete und freute sich, als er seine dicke Wange an eines der immer noch spindeldünnen Beine meiner Schwester schmiegen konnte.
Als wir am 30. August herum abreisten, um zum Schulbeginn am 1. September, in Budapest zu sein, verschwand er schon am frühen Morgen und wurde durchs restliche Jahr nicht mehr gesehen – jedenfalls wussten wir nichts davon.

Im "vierten Jahr des Katers", wie wir es nannten, bekam meine Schwester die Masern. Dann ich. Und als wir wieder gesund waren, wurden wir zur Erholung in die slowakischen Berge geschickt. Zum Plattensee kamen wir in dem Jahr nicht mehr. Wie Tante Ilonka berichtete, saß der fremde, große, schwarze Kater täglich an der Gartenpforte, den Schwanz um die hellen Pfoten gekringelt und wartete. Ab und zu nahm er etwas zum Essen. Und wartete. In jenem Jahr ging er auch am Ende des Sommers nicht.
Auch im Herbst nicht. Sondern wartete. Erst gegen Weihnachten, als es eisig geworden war, verschwand er. Ein Junge aus der Nachbarschaft will ihn eines Nachmittags in der Dämmerung gesehen haben, als er auf dem zugefrorenen Platensee nach Nordosten, Richtung Budapest, gelaufen sei. Er meinte, der Kater soll übers Eis geschwebt sein. Er vermutete, es habe an den hellen Pfoten gelegen, die auf dem weiß-bläulichen Eis unsichtbaren schienen.
Soweit die Geschichte, die von den Älteren im Dorf, zumal nach Tante Ilonkas Tod, in immer mehreren Variationen erzählt wird.

Weiter zum Kapitel 2, Was ist phantastisch? Erst eine Definition, dann wird es komplitziert.



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